Es hätte die große Stunde des Schulfernsehens sein können

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Es hätte die große Stunde des Schulfernsehens sein können

5. August 2020 Allgemein 0
Tschernobyl“ als historische Zäsur | zeitgeschichte | online
Vor dreißig Jahren gab es keinen Notfallplan, keine Gastronomieverbote und keine Schulausfälle. Die Bundesregierung ließ schleifen, was man nur schleifen lassen konnte.

In den 80ern gab es das wohl unnützeste Fernsehen überhaupt, welches heute in einer extrem abgespeckten Form auf den dritten Programmen wieder auftaucht. Das „Schulfernsehen“, oder wie es heute genannt wird „Planet Schule“.

Es war der 26.April, irgendwas in den 80ern…

Am 26.April 1986 explodierte im ehemaligen sowjetischen Kraftwerk Tschernobyl ein großer Teil des Reaktor Blocks 4. Es folgte eine Katastrophe, die allen Menschen eigentlich enorme Einschnitte ins Privatleben bescheren sollten, welche aber nicht beschlossen wurden. „Eigentlich“ hätten Schüler damals über Wochen gar nicht die Schulen gedurft.

Doch die Bundesregierung sah das, trotz „saurem Regens“ auf die Sandkästen der Grundschulen, anders.

Lehrer berichten von damals, dass sie auf tausende Kinder auf den Schulhöfen aufpassen mussten, dass diese nicht in Gartenanlagen spielen und dass bei Regen, die Schüler eigentlich in die Räumlichkeiten gemusst hätten, anstatt in die Unterstellmöglichkeiten der Schulen.

Im Osten erfuhren die Menschen von Tschernobyl gerade mal über das Westfernsehen.

Im Westen erfährt das Land ein Missmanagement mit der Katastrophe (keine einzige offizielle „Tschernobyl-Maßnahme“, in welchem den Menschen zwar gesagt wird, dass der Super Gau eingetreten ist und sich radioaktive Stoffe 1200 Meter über dem Boden befinden, die sich in Regenwolken vermischen, sonst aber gar nichts geschah. Home Office, Gastronomieverbote (hä… zwei Monate vor Mexiko 1986?), Einstellung von Klassenfahrten oder Schulausfälle waren aber Fremdworte.

Letzteres war angeblich nicht umsetzbar

Es hätte die große Stunde des unnützesten Fernsehens werden können, dass es in Deutschland gab. Aufgrund der Schulpflicht war es keinem Schüler möglich, sich an Schultagen auf NDR 3 um 9:00 Geschichte 3, 9:30 Chemie 3, 10:00 Deutsch 1 anzusehen.

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Es hätte die große Stunde des Schulfernsehens sein können.

Ein Tschernobyl-bedingter Schulausfall, den es praktisch nie gab, der aber theoretisch notwendig gewesen wäre, hätte über dieses Format stattfinden können.

Eine tägliche Papierflut, nach Pyramiden System, hätte dafür gesorgt, dass sich die dritten Sender mit den Schulen koordiniert hätten, womit die Aufgaben letztendlich bei den Schülern gelandet wären.

Schon damals brach das emsländische Lingen einen Messrekord

Im Mai 1986 verzeichnete eine Messstation, nahe der niederländischen Grenze einen radioaktiven Wert des 48-fachen über Normal. Kinder in Lingen gingen an diesem Tag in die Schule, während im Fernsehen das überflüssigste Fernsehen lief, dass es in der Geschichte des Fernsehens gab. Während die Kinder in der Schulen waren, wurde im Dritten Englisch, Mathematik und Chemie gelehrt.

Reboot in Corona Zeiten?

„Planet Schule“ ist heute, in Corona Zeiten, in der Mediathek des bayrischen Rundfunks abrufbar. Ein Laptop an einem Beamer lässt das Material zu jeder Zeit, für die Unterrichtsarbeit, verfügbar machen.

Das Programm selbst liefert allerdings nur sehr begrenzt. Es fehlt Mathematik, Chemie oder das gute alte „Englisch für Anfänger“ (was aber wiederkommen soll), mit teilweise ganz witzen Spielszenen aus dem Alltagsleben unserer britischen Nachbarn. Eine Schulen nutzen die alten Folgen, einsehbar auf Youtube, die in den Jahren 1972 bis 1988 ausgestrahlt wurden.

Rückblickend

Rückblickend fragen wir uns, ob, mit solchen Einschränkungen, die es nie gab, Tschernobyl-Leugner vor dem Brandenburger Tor aufgetaucht wären, die im Regen, demonstrativ in Sandkästen gespielt hätten. Wir werden es nie erfahren.